Johanna Oppenheimer, Gretl Bauer und Bertold Lehmann sind die drei Namen, die mit jüdischem Leben im Landkreis Fürstenfeldbruck wohl am meisten in Verbindung gebracht werden. Dabei gab es mehr, doch blieben diese jüdische Biografien weitgehend unsichtbar. Diese Unsichtbaren sichtbar zu machen, ist das Ziel und somit auch der Titel unserer aktuellen Sonderausstellung am Jexhof.
Jahrhunderte lang hatte sich Altbayern sehr restriktiv gegenüber der Einwanderung von Juden verhalten. Erst nach einem Paradigmenwechsel 1861 zogen zunehmend mehr jüdische Händler aus den schwäbischen und fränkischen Landgemeinden vornehmlich nach München, Augsburg und andere größere Städte. Über eine zweite Wanderbewegung traten sie auch in ländlichen Regionen wie Fürstenfeldbruck auf.
Julius Einhorn: eine frühe jüdische Biografie aus dem Landkreis
Einer der ersten von ihnen war Julius Einhorn aus Buttenwiesen bei Dillingen. Er war 1886 nach München gezogen und hatte 1894, mit gerade einmal 28 Jahren, eine landwirtschaftlich-chemische Fabrik in Aubing aufgebaut. Drei Jahre später war er Mitbegründer einer Fabrikanlage zur Verwertung des Münchner Mülls in Puchheim. Welch hohes Ansehen Einhorn genoss, wird zum einen in seiner Wahl zum Vorsitzenden des Bezirks-Bauern-und-Bürgerrates Fürstenfeldbruck 1918 deutlich, zum anderen dadurch, dass ihm die bayerische Staatregierung 1924 den Titel eines Kommerzienrates verlieh.
Gut erforscht: jüdische Biografien aus Gröbenzell
Gleich mehrere Familien jüdischer Herkunft waren in den 1920er-Jahren nach Gröbenzell gezogen. Unter ihnen war Simon Erlanger, der zusammen mit Alfred Rosenberger aus Esting und Bertold Lehmann aus Fürstenfeldbruck nach der Reichspogromnacht verhaftet worden war. Wir zeigen in der Ausstellung unter anderem seinen Koffer, in dem er seine Habseligkeiten verstaut hatte, als er 1942 ins Milbertshofener Lager überstellt wurde. Milbetshofen war für gewöhnlich die letzte Station vor der endgültigen Deportation. Sein Mischehen-Status bewahrte Erlanger vor diesem Schicksal. Dieser Mischehen-Status rettete auch Anna Bär und Anne-Lise von Branca. Für den Musiker Kurt Schroeter hingegen war es das Todesurteil, als seine Frau Ilse im Einvernehmen mit ihm die Scheidung einreichte, um so den Gröbenzeller Besitz zu bewahren. Sie wähnte ihren Mann durch seinen Umzug nach Amsterdam in Sicherheit. Kurt Schroeter wurde im September ins KZ Vught und schließlich nach Auschwitz deportiert. Nicht ahnend, dass ihr Mann schon vergast worden war, hatte sie noch ein Begnadigungsschreiben für ihn verfasst. Dank Kurt Lehnstaedts gründlicher Recherchen zu Gröbenzell in der NS-Zeit waren die Schicksale der Gröbenzeller Juden schon gründlich erforscht.
Emigration als lebensrettende Entscheidung
Die Zeichen der Zeit rechtzeitig erkannt hatte Familie Amányi: Sie wanderte 1938 nach Palästina aus. Emil Amányi unterhielt einen Handel mit Getreide und Futtermitteln in München, 1922 errichtete er in Olching ein Wohn- und Bürohaus in Bahnhofsnähe, wo er für seinen Gewerbebetrieb einen eigenen Gleisanschluss bekam. Von hier aus belieferte er unter anderem mehrere große Brauereien Münchens und des gesamten Reichsgebietes mit Heu.
Schon früher hatten die beiden Viehhändler Joseph Bikart und Julius Fröhlich das Weite gesucht, nachdem sie im März 1933 von Brucker SA-Leute misshandelt und anschließend in „Schutzhaft“ genommen worden waren. Auch Julius Fröhlich war nach Palästina emigiriert, während Josef Bikart mit seiner Familie noch im Juli 1933 ins Elsaß gezogen war. „Dea hod sein ‚Mein Kampf‛ gründlich g’lesn, hod mei Vadda immer zu mia g’sogt“, kommentierte eine alte Brucker Nachbarin der Birkarts dessen Entscheidung, als ich eine Aufnahme von deren Hofstelle machte. Diese befindet sich bis heute nahezu unverändert in der Bullachstraße in Fürstenfeldbruck.
Auch in Fürstenfeldbruck gab es jüdische Biografien zu heben, von denen bisher nie die Rede war. Eine davon ist Familie Benjamin aus Merzig a. d. Saar. Von ihr hatte ich nur zufällig im Zusammenhang mit Recherchen zu Ludwig Thomas Schwester Toni erfahren. Deren Enkel hatte mir beiläufig erzählt, dass die Vorbesitzer des Hauses seiner Großmutter Juden waren. Hier lieferte ein Blick in die Dirnagel’sche Häuserchronik im Stadtarchiv den nötigen Namen für weitere Recherchen. Metzgermeister Ludwig Benjamin war 1922 als Privatier mit seiner Frau Bertha und Tochter Frieda nach Fürstenfeldbruck gezogen. Schon fünf Jahre später siedelte die Familie nach München um, wo er 1935 starb. Witwe und Tochter wurden Opfer der Shoah. Hier wie beizahlreichen anderen dieser jüdischen Biografien war die Online-Recherche bei den Arolsen Archives äußerst wertvoll.
Ein Garagenfund als wertvolle Recherchequelle
Dass die Lage für die jüdische Bevölkerung gefährlich war, war den Verantwortlichen durchaus bewusst. Denn als Landrat Dr. Karl Sepp 1939 die Bürgermeister der Umlandgemeinden aufforderte, die genauen Daten der als Juden bekannten Personen zu überprüfen, beendete er sein Schreiben mit der Mahnung: „Die Feststellungen […] müssen sorgfältig und genauestens gemacht werden, da unter Umständen für die Betroffenen schwerwiegende Folgen erwachsen können“.
Anhand dieser Liste begab ich mich im Stadtarchiv Fürstenfeldbruck auf Spurensuche. Hierfür erwies es sich als äußerst hilfreich, dass Bertold Lehmann alle seine Dokumente peinlich genau sortiert aufgehoben hatte. Als nach dem Tod seiner Witwe Lilly – er war schon viele Jahre vor ihr gestorben – deren Nichte eine Kiste mit seinem Nachlass in der Garage fand, befanden sich darin historisch wertvolle Unterlagen, die sie dem Stadtarchiv Fürstenfeldbruck übergab. Sie bildeten über weite Strecken die Arbeitsgrundlage für meine Erforschung der jüdischen Biografien Fürstenfeldbrucks. In der Ausstellung sind zahlreiche Fragebögen des Bayerischen Hilfswerks für Wiedergutmachung zu sehen. Hier kommen die Betroffenen mit ihren persönlichen Schilderungen ihrer Leiden während des NS-Zeit direkt zu Wort. Beinahe alle dieser Fragebögen sind handschriftlich ausgefüllt und gehen mit ihren individuellen Handschriften unter die Haut.
Fragebogen Anna Bär, Gröbenzell
Unsichtbar geworden: Bertold Lehmanns Retter Hans Arthur Lambert
Ganz besonders berührend finde ich auch Bertold Lehmanns Judenstern. Denn Lehmanns Entscheidung, ihn bei seiner heimlichen, verbotenen Zugfahrt nach Fürstenfeldbruck nicht zu tragen, war der vorgeschobene Grund für seine geplante Inhaftierung. Seine Frau Lilly konnte ihm ein Versteck bei Hans Arthur und Paula Lambert besorgen. Ohne deren couragierten Einsatz für mehr als zwei Jahre hätte Bertold Lehmann die NS-Zeit wohl nicht überlebt. Doch obgleich Lehmann sich noch bei der Beerdigung von Paul Lambert vor sein Grab warf und seinem Retter dankte, geriet diese mutige Tat in Fürstenfeldbruck zunehmend in Vergessenheit. Trotz mehrerer Versuche konnte ich niemanden ausfindig machen, der sich an das Ehepaar Lambert heute noch erinnert.
Sichtbar geblieben: Maler Henrik Moor
Nicht nur, dass Landrat Sepp um das Gefährdetsein der jüdischen Bevölkerung wusste, vielmehr hielt er auch schützend seine Hand über manche von ihnen. Dazu gehörte die Familie des Malers Henrik Moor. Ihm half er, seine jüdische Herkunft zu verbergen, seine Tochter Anita konnte trotz ihres Status als „Halbjüdin“ ihre Arbeit im Landratsamt behalten. Erst vor ein paar Jahren hat das Museum Fürstenfeldbruck Henrik Moor eine große Ausstellung gewidmet. Die Gemälde, die wir von ihm zeigen, vermitteln einen Eindruck seiner Schaffensbreite.
Dem aus Weßling stammenden Künstler Herbert Appelbaum ist ein eigener Ausstellungsabschnitt gewidmet. Neben mehreren Fotos und Dokumenten sind ein paar seiner keramischen Arbeiten und Gemälde zu sehen. Unter ihnen seine Vorstudie zu einem Gemälde, das die Sträflinge im KZ Dachau bei der Arbeit zeigt: Er malte sie ohne Köpfe, während er die Wachleute als schwarze Schemen mit Maschinengewehr über der Schulter hängend dargestellt hat. Das Original der endgültigen Fassung hängt in der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.
Nichts von der Schwere ihrer letzten Lebensjahre vermitteln die ausgestellten Porträts und impressionistischen Landschaftsbilder von Johanna Oppenheimer. Sie war 1919 mit ihrer Freundin, der Sängerin und Lautenspielerin Else Hoffmann, nach Schöngeising gezogen und gut in der dörflichen Gemeinschaft integriert. Dennoch musste sie ab 1941 als einzige Jüdin des Ortes den Gelben Stern tragen und lebte zunehmend isoliert. Beinahe siebzigjährig wurde sie nach Theresienstadt deportiert. Dort starb sie im Dezember 1942 an der Ruhr.
Sichtbar gemacht: Schneidergeselle Alfred Deutsch
Die Ausstellung wäre unvollständig, würden wir nicht auch an Gretel Bauer erinnern. Wir stellen sie als Leiterin ihres Kinderheims in Neu-Esting und als Gründerin der Volkshochschule Fürstenfeldbruck vor. Besonders berührend sind hier die Fotos mit Kindern der Jüdischen Schulklassen von 1938, die sie Jahrzehnte später mit ihrer inzwischen zittrig gewordener Handschrift kommentiert hat. Es freut mich, dass ich bei den Recherchen über das Schicksal ihrer Schützlinge neues über Alfred Deutsch herausfinden konnte: Er kam nicht ums Leben, wie bislang vermutet. Vielmehr lebte er nach dem Krieg als Schneidergeselle in Fürstenfeldbruck.
Sichtbar sein: Jüdinnen und Juden heute
Ein erklärtes Ziel unserer Ausstellung war es zu zeigen, dass es den Nationalsozialisten nicht gelungen ist, das jüdische Leben in Deutschland auszulöschen. Deshalb wollten wir jüdische Biografien der Gegenwart vorstellen. Leider erwies es sich als schwierig, junge Jüdinnen und Juden für unser Vorhaben zu finden. Vermutlich veranlasst ein auch gegenwärtig vorhandener latenter Antisemitismus sie zur Zurückhaltung. Umso mehr haben wir uns darüber gefreut, dass sich die Münchner Künstlerin Ilana Lewitan bereit erklärt hat für ein ausführliches Interview. Sie ist die Tochter zweier Holocaust-Überlebender. Das Gespräch mit ihr zeigen wir in einem zweiteiligen Video.
Ebenso freut es uns, dass sich David Stopnitzer dazu bereit erklärt hatte, bei unserem Video über die Entstehung der Ausstellung mitzuwirken. Herr Stopnitzer ist eines der ersten St.-Ottilienbabys und das einzige von über 400, das heute noch in Deutschland lebt. Das DP-Hospital St. Ottilien ist ebenso Teil eines Exkurses unserer Ausstellung wie das Kriegsgefangenenlager in Puchheim aus dem Ersten Weltkrieg. Damals soll es in dem Lager angeblich sogar eine kleine Synagoge gegeben haben. Das DP-Lager St. Ottilien ist deshalb für unsere Ausstellung von Belang, weil mehrere Familien von dort vorübergehend nach Fürstenfeldbruck gezogen waren, um von hier aus ihre Auswanderung vorzubereiten.
Schweigen und sprechen: Raum der Stille
So unterschiedlich die Charaktere der Überlebenden auch waren, eines einte sie: Das Unbehagen, über das zu sprechen, was ihnen während der Zeit des NS-Herrschaft widerfahren war. Bei meinen Gesprächen mit den Enkeln von Überlebenden stellte sich das immer wieder heraus. Viele jüdische Biografien sind mit dem Thema Schweigen verbunden. Auch dieses Schweigen wollten wir in der Ausstellung thematisieren. So entstand unsere Idee zum Raum der Stille. Ein Video, das Ruth Strähhuber mit ihrer Mutter Annemarie gedreht hat, zeigt ein inszeniertes Schweigen. Diese wird nur gelegentlich unterbrochen von eingeblendeten Zitaten Überlebender zum Thema. Museumsleiter Reinhard Jakob hatte die Idee, dazu Paul Celans „Todesfuge“ einzuspielen. Wer will, kann sich diese, schneidend wie ein scharfes Messer, als Kontrast dazu per Kopfhörer von ihm selbst rezitieren lassen.
Nach Wochen intensivsten Arbeitens hatten wir den Eindruck, für unsere Ausstellung vieles ans Licht geholt zu haben, das wir nun gerne und stolz präsentieren. Es gibt jedoch auch vieles, das es wert wäre, noch gründlicher erforscht zu werden. Als Grundlage dafür veröffentlichen wir demnächst noch einen Ausstellungskatalog. Und wer sich die Entstehungsgeschichte unserer Ausstellung auf kurzweilige Weise zu Gemüte führen möchte, dem sei unser Video empfohlen, das wir auf unserem Youtube-Kanal präsentieren.
Außerdem führe ich ab 1. Mai sonntags um 13:30 Uhr durch die Sonderausstellung.