Flyer zur aktuellen Sonderausstellung „Unter die Haut“ © Bauernhofmuseum Jexhof
Was verbindet Kaiserin Sisi, Ötzi und Räuber Kneißl mit zahllosen Zeitgenoss*innen? Ihre Tattoos. Deren Herkunft, Motivationen und Bedeutungen spürt die aktuelle Sonderausstellung im Bauerhofmuseum Jexhof nach.
„Winona forever“ – auf dem augenzwinkernden Gemälde „Wegen einem Euro“ von Ausstellungsgestalterin Ruth Strähhuber findet sich Jonny Depps häufig nachgestochenes Tattoo auf dem Wadl eines Münchner Oktoberfest-Besuchers. Gleich zu Beginn der Ausstellung bringt die Künstlerin damit die Welt- und Weitläufigkeit des Ausstellungsthemas „Unter die Haut. Eine regionale Geschichte der Tattoos“ und deren lokalen Bezug ironisch auf den Punkt.
Die Ausstellung bietet auch amüsante Aspekte zum Thema Tattoos © Bauernhofmuseum Jexhof
Aktuelle Tattoos: Menschen und ihre Motive
Tattoos im Bauernhofmuseum? Nun: Ein Museum, das sich der Alltagsgeschichte verschrieben hat wie der Jexhof, kann an diesem Massenphänomen des Körperschmucks nicht einfach vorübergehen, ohne sich einmal damit zu beschäftigen!
Denn waren es bis weit in die 1990er-Jahre überwiegend nur bestimmte gesellschaftliche Gruppen, die sich tätowieren ließen, um sich vom Mainstream abzuheben oder um gegen das Establishment zu protestieren, erfasste der Trend zur Tätowierung fortan immer breitere gesellschaftliche Schichten. Inzwischen finden sich Tattoo-Träger in allen Berufs- und Gesellschaftsgruppen. Die Ausstellung präsentiert viele von ihnen. Was sie alle eint, ist die intensive Auseinandersetzung mit ihren Motiven.
Narben verschwinden in Körperschmuck: Nach einem tragischen Unfall ließ Otto zunächst seine Narben, dann allmählich seinen ganzen Körper tätowieren © Bauernhofmuseum Jexhof
Tattoos: wie ein Buch mit Geschichten auf der Haut
Verschiedene Tattoos von Menschen aus dem Umland zeigen, wie ernst oder gar tragisch die Anlässe für die Motive der Trägerinnen und Träger sein können. Der Kontakt zu Rafael beispielsweise entstand durch die Suche nach einem berufsbezogenen Tattoo eines Feuerwehrmannes. Im Laufe des vorbereitenden Gesprächs zeigte er noch seine anderen Tattoos. Seine Erklärung des zähnefletschenden Tigers oberhalb der rechten Brust geht auch im übertragenen Sinne unter die Haut, ist er doch Rafaels Antwort auf die lebensbedrohenden Angriffe des Vaters.
Tattoos erzählen Geschichten – mitunter tragische © Bauernhofmuseum Jexhof
Auf Korbys Körper hingegen sind neben tragischen Erinnerungen auch heitere zu sehen. „Tattoos sind wie ein Bilderbuch: Sie erzählen Geschichten“, lautet sein Credo. Tina und Christoph tragen neben zahlreichen anderen auch zwei sich ergänzende Tattoos: Während Tinas linken Unterarm Blumen mit Herz und einem Schloss verzieren, findet sich der dazu passende Schlüssel auf Christophs rechtem Unterarm.
Ein Teil der Tattoo-Geschichten wird mit Abbildungen und Text präsentiert, der andere per Video-Interviews. So sind beispielsweise die Tattoos des evangelischen Diakons Rainer Fuchs auf einem Bildschirm zu sehen, während er sie erklärt und von seinen Erfahrungen und Erlebnissen als tätowiertem Kirchenmann erzählt.
Rainer Fuchs beim Dreh für die Ausstellung und den BR © Bauernhofmuseum Jexhof
Gletschermumie Ötzi: Tattoos aus der Steinzeit
Vielleicht lässt ja der Tätowierungsboom der letzten Jahre den Eindruck entstehen, dass Tattoos etwas recht Neues, dem Zeitgeist Geschuldetes seien. Doch mit Ötzi finden sich die frühesten Belege schon in der Jungsteinzeit. Seine Mumie weist über 50 Tätowierungen auf. Deren Konzentration auf stark beanspruchte Körperstellen wie Knie- und Sprunggelenke lässt auf eine medizinische Funktion der Tätowierungen schließen. Und eine bronzezeitliche Tätowiernadel aus einem Frauengrab bei Gernlinden (ca. 2.200 bis 2.000 v. Chr.) stellt den frühesten Bezug zum Thema im Landkreis her.
Die Ausstellung zeigt, dass sich im europäischen Raum schon früh zwei Schwerpunkte des Tätowierens gebildet haben: So haben damit zum einen die Griechen, Römer und Kelten Sklaven und Kriminelle gekennzeichnet. Zum anderen entwickelte sich bereits vor über 700 Jahren die Tradition der Pilgertätowierung.
Leuchtkasten mit Blick auf die Tätowierungen der Gletschermumie Ötzi sowie „Gernlinde“, die keltische Schamanin aus dem Landkreis, mit Tätowiernadel © Bauernhofmuseum Jexhof
Tattoos – eine weltumspannendes Kulturphänomen
Ob Brasilien, Japan oder Polynesien: Tattoos finden sich weltweit. Dabei bildeten die verschiedenen Völker unterschiedliche Techniken und Traditionen aus. In Brasilien etwa konnten die frühen Forschungsreisenden Menschen aufgrund ihrer Tätowierungen den verschiedenen Volksstämmen zuordnen. Oftmals waren Tattoos Teil eines Initiationsritus und häufig wurden und werden Frauen und Männer an unterschiedlichen Körperstellen tätowiert. So tragen Maorimänner ihr „Moko“ insbesondere im Gesicht, auf Oberschenkel und Gesäß. Junge Maorifrauen hingegen lassen sich heute wieder verstärkt traditionell Lippen und Kinn tätowieren, um damit ihre Stammeszugehörigkeit sichtbar zu machen.
Unterschiedliche Tätowierungen von Männern und Frauen bei den Maori © Bauernhofmuseum Jexhof
Narben-Tattoos als Alternative zur Farbe
Vornehmlich bei dunkelhäutigen Ethnien hat sich die Tradition der Skarifizierung entwickelt, auch Narben-Tatauierung genannt. Dabei handelt es sich um das Einbringen von Ziernarben in die Haut. Im Gegensatz dazu leben insbesondere japanische Tattoos von ihrer Farbigkeit. Selbst der spätere englische König George V. war so fasziniert von ihnen, dass er sich 1881 tätowieren ließ.
Struktur statt Farbe: Narbentatauierung; Bilder und Büsten aus St. Ottilien © Bauernhofmuseum Jexhof
Tätowierungsboom in den höchsten Adelskreisen
Überhaupt brach durch den Kontakt zur Südsee in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein wahrer Tätowierungsboom aus. Zunächst waren es Seeleute, die sich anfangs auf polynesischen Inseln als eine Art Reisesouvenir tätowieren ließen. Auch hatte James Cook schon 1774 einen tätowierten Tahitianer von einer seiner Seefahrten mit nach Europa gebracht, der sich fortan als Sensation auf Jahrmärkten zeigte. Verschiedene Europäerinnen und Europäer, aber auch Amerikanerinnen wie „La belle Irene“ mit ihren Ganzkörpertattoos, sollten seinem Vorbild im 19. Jahrhundert folgen. Tattoos galten fortan als exotisch und waren bis in die höchsten Adelskreise bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs sehr beliebt.
Tätowierte unter sich: Räuber Kneißl, Kaiserin Sisi und Tätowierte als Jahrmarktattraktion © Bauernhofmuseum Jexhof
Im Tattoo-Studio: Techniken und Trends
Infolge der seemännischen Tattoo-Begeisterung entstanden die ersten europäischen Tattoo-Studios in Hafenstädten wie Amsterdam. Auftrieb bekamen die Studios ab 1890 durch die Erfindung der elektrischen Tätowiermaschine. Christian Warlich, der „Urvater der deutschen Tätowierer“, verwendete sie in Deutschland als erster. In seinem „Atelier moderner Tätowierungen“ im Hamburger Stadtteil St. Pauli erwies er sich zudem als früher Spezialist für das Entfernen von unliebsam gewordenen Tattoos.
Blick in Chris Teutschs Tattoostudio, das älteste in Fürstenfeldbruck © Bauernhofmuseum Jexhof
Eine Abbildung davon ist im angedeuteten Tattoo-Studio der Ausstellung zu sehen. Hier lässt eine wandfüllende Aufnahme mit Chris Teutsch beim Tätowieren in Fürstenfeldbrucks ältestem Tattoo-Studio die Besucherinnen und Besucher Studio-Atmosphäre erahnen. Anhand unterschiedlicher Tätowier-Werkzeuge, zahlreichen Tattoo-Vorlagen und filmischen Darstellungen kann man hier auch die Entwicklung, die unterschiedlichen Techniken des Tätowierens und verschiedene Stilrichtungen kennenlernen. Sogar selbstgebaute Tätowiermaschinen aus dem Gefängnis sind zu sehen.
Kugelschreibermine, verbogene Zahnbürste, der Motor eines Rasierapparats und eine Nähnadel: die Tätowiermaschine aus einer Gefängniszelle (rechts) © Bauernhofmuseum Jexhof
Wie eine Arbeit der Münchner Tätowiererin Julia Tempel auf Plexiglas zeigt, können sich Tätowierer*innen mit ihrer Tätowiermaschine auch anderweitig künstlerisch betätigen.
Dass Museumsleiter Dr. Reinhard Jakob mit seiner Ausstellungsidee den Nerv der Zeit getroffen hat, wird schon dadurch sichtbar, dass er damit das Bayerische Fernsehen vorab zu einem zwölfminütigen Sendebeitrag auf den Jexhof lockte.
Und auch die bisherigen Einträge im Besucherbuch zeigen, dass es dem Ausstellungsteam wieder einmal gelungen ist, ein aktuelles Thema begeisternd umzusetzen.
Der Artikel wurde inzwischen auch als Gastbeitrag veröffentlicht in den museumsperlen, dem Blog der Museen und Schlösser in Bayern.
Eintrag im Besucherbuch © Bauernhofmuseum Jexhof
Am 15. und 29. Januar um 13:30 Uhr führe ich durch die Sonderausstellung.
Öffentliche Beiträge:
Augsburger Allgemeine
BR Mediathek
Fürstenfeldbrucker Tagblatt
Süddeutsche Zeitung
Tempel-Tattoos München, Blog